Selbstbestimmung eingeschränkt? – Neue Herausforderungen für die Beratungslandschaft in Mitteldeutschland!

Um die Selbstbestimmung von trans*geschlechtlichen Menschen zu gewährleisten, sollte –unter Beibehaltung der medizinischen Kostenübernahme durch die Krankenkassen – auf psychiatrische Diagnose, Begutachtung durch den MDK und den „Alltagstest“ als Voraussetzungen für den Zugang zu medizinischen Behandlungen verzichtet werden. Um alle Reformvorschläge zu bündeln die in den letzten Monaten in den Bundestag eingebracht wurden, könnte ein Gesetz erarbeitet werden, wie es in Malta im April 2015 verabschiedet worden ist. Weltweit gilt es als das Gesetz, dass sich am engsten am aktuellen Stand der menschenrechtlichen und wissenschaftlichen Debatte um Trans*- und Intergeschlechtlichkeit orientiert.

In den bisherigen Vorlagen an den Bundestag, für eine Reformierung des Transsexuellenrechts, ist immer wieder eine Beratungspflicht gefordert worden, wie sie mit Einführung der Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs (§ 218 StGB) auf die Länder übertragen wurde. Hier ist eine wohnortnahe Beratung den Beteiligten zu ermöglichen. Wir möchten mit Vertreter*innen aus Politik und Öffentlichkeit ins Gespräch kommen, um über Fragen rund um das Was, Warum und Wie zu sprechen. Vor allem stellt die Finanzierung der beteiligten Beratungsstellen, auf Grund der schlechten Finanzlage der Länder, eine bedeutende Herausforderung dar.

Als  Auftrag an den 19. Bundestag ist daher zu fordern: Eine TSG-Reform in Anlehnung an den Maltesischen Gender Identity, Gender Expression and Sex Characteristics Act, 2015 kann sich als unbürokratische, dem aktuellen Stand von wissenschaftlichen und Menschenrechtsdebatten berücksichtigende Lösung für Deutschland anbieten. Ein sofortiges Verbot von geschlechtszuweisende, geschlechtsangleichende oder vereinheitlichen Operationen an intersexuellen Kindern, sowie eine zusätzliche Ergänzung um die Aufnahme einer dritten Option als Geschlechtseintrag im Rahmen des deutschen Personenstandsgesetz ist als notwendig zu erachten.

Workshop 11: Wie ein grünes Schaf in einer weißen Herde: Interviews mit jungen Trans*-Menschen

Im Rahmen des bundesweiten Netzwerks Trans*Aktiv, aus dem die „Bundesvereinigung Trans*“ (BVT*) hervorging, wurden 2015 im Rahmen des Projekts “TRANS* – JA UND?!” in mehreren deutschen Städten Medien-Empowerment-Workshops für jugendliche und junge erwachsene Trans*-Menschen angeboten. Im Anschluss konnten die Teilnehmenden an der begleitenden Forschung zusätzlich teilnehmen. Dabei bekamen sie die Möglichkeit, über ihr Selbstverständnis und ihre Lebenssituation zu berichten und ihren Unterstützungsbedarf seitens der Gesellschaft und ihrer Institutionen zu benennen. Das Forschungsprojekt war nach einem partizipativen Ansatz („Community-Based Participatory Research“) von Aktivist*innen aus dem Umfeld der Trans*-Community konzipiert und in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den jungen befragten Trans* durchgeführt worden. Die drei Gruppendiskussionen mit insgesamt 15 Personen im Alter von 14–26 Jahren wurden qualitativ ausgewertet und die Ergebnisse den Teilnehmenden im Sinne des Konzepts zur Korrektur und Re-Interpretation vorgelegt. Dabei wurde der Einschätzung der Befragten Priorität eingeräumt, sie behielten das „letzte Wort“.

In den Interviews formulierten die jungen Trans*-Menschen den Wunsch nach einem offeneren Umgang mit dem Thema Trans* in der Gesellschaft, nach der Akzeptanz nicht-binärer Identitäten und nach besonderer Unterstützung von Trans* mit Erfahrung von Mehrfachdiskriminerung. Als bedeutsam wurde soziale Anerkennung benannt, insbesondere durch Verwendung des gewünschten Pronomens und Namens, sowie unbürokratische Unterstützung diesbezüglich durch Institutionen (z.B. Schule, Einrichtungen des Gesundheitssystems). Die Befragten forderten auch die Vereinfachung des Zugangs zu rechtlichen und medizinischen Maßnahmen der Transition. Im Bildungssystem wünschten sie sich mehr Information zum Thema Trans* und Maßnahmen gegen Diskriminierung ab dem Kindergartenalter. Im Bereich der Familie stand der Wunsch nach Akzeptanz ihrer Transidentität und nach Unterstützungsangeboten für die Eltern im Vordergrund. Darüber hinaus formulierten sie den Bedarf nach positiven und diversen Trans*-Vorbildern in den Medien. Als besonders hilfreich empfanden die Befragten die wenigen bereits vorhandenen community-basierten Unterstützungsangebote für junge Trans*, die den Bedarf jedoch noch nicht deckten.

Workshop 10: Geschlechtssensible Gesundheitsversorgung

Gesundheitsversorgung ist für alle transsexuellen, transidenten, transgender und nicht-binären Menschen ein wichtiges Thema. Zum einen bietet die Medizin Behandlungsmöglichkeiten an, die Körperdysphorien weitgehend erfolgreich beseitigen bzw. mildern können. Zum anderen benötigen alle Personen im Laufe ihres Lebens auch allgemeine medizinische Versorgung. Im internationalen wissenschaftlichen Diskurs werden mittlerweile nicht nur die klassischen Themen rund um eine geschlechtsangleichende oder -modifizierende Behandlung thematisiert, sondern auch Themen, wie beispielsweise sexuelle Gesundheit und Kinderwunsch erhalten immer mehr Gewicht. Darüber hinaus rücken Trans*-Menschen auch als vulnerable Gruppe im Hinblick auf „Minority Stress“ in der Gesundheitsforschung in den Fokus. Nicht zuletzt ist die medizinische Versorgung auch Schauplatz von Diskriminierungserfahrungen und -befürchtungen.

2016 wurde von der Bundesvereinigung Trans* ein Policy Paper vorgelegt, welches aus Communitysicht Bedürfnisse und Forderungen an die Gesundheitsversorgung artikuliert. Auf der Basis des internationalen Diskurses und den Ergebnissen des Policy Papers wird vorgestellt, was eine optimale Gesundheitsversorgung aus der Sicht von Trans*-Menschen beinhaltet.

Gemeinsames Abendessen

Anschließend ist im Restaurant „Wenzel Prager Bierstuben“ (Leiterstraße 3, 39104 Magdeburg) ein großer Tisch reserviert. Gegessen werden kann à la carte. Das Restaurant befindet sich unweit vom Landtag.

Eröffnung des Kongresses im Landtag

Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch und Ministerin für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt Anne-Marie Keding laden zur Eröffnung der Wanderausstellung „Trans* in der Arbeitswelt“ ein. Die Ausstellungseröfnung, welche zugleich unser Kongressauftakt sein wird, findet im Landtag Sachsen-Anhalts (Domplatz 6-9, 39104 Magdeburg), Foyerecke des Ostflügels im Erdgeschoss statt. Der Veranstaltungsort ist barrierefrei und der Eintritt ist kostenfrei. Die Ausstellung wird im Anschluss vom 22. September bis 6. Oktober 2017 im Landtag Sachsen-Anhalts zu sehen sein.

Wir freuen uns, Sie schon am Freitag Abend begrüßen zu dürfen. Lassen Sie uns Ihre Anreise bitte im Anmeldeformular wissen!

Gemeinsames Abendessen

Um gemeinsam den ereignisreichen Tag ausklingen lassen zu können, haben wir einen großen Tisch in dem nahegelegenen „Ratskeller Magdeburg“ (Alter Markt 6, 39104 Magdeburg) reserviert. Es kann á la carte gegessen werden.

Workshop 9: Geschlechtliche Vielfalt in der Beratung und Bildungsarbeit – ein Praxisbericht aus Sachsen-Anhalt

Seit dem Jahr 2011 bietet das BBZ „lebensart“ in Halle (Saale) psycho-soziale Beratung für trans*- und intergeschlechtliche Menschen und deren Angehörige an. Unsere systemische Fachberatung ist Community-basiert und möchte Selbstbestimmung und Selbstermächtigung der Ratsuchenden fördern. Sie umfasst medizinische, rechtliche und psycho-soziale Aspekte. Von Jahr zu Jahr wird dieses Angebot immer häufiger in Anspruch genommen. Der Vortrag legt die Fragen und Probleme dar, die dabei im Mittelpunkt stehen und klärt, was „Lotsen durch das System“ bedeutet. Zudem werden die Arbeit unserer Gruppen sowie die Profilierung der Beratungs- und Unterstützungsangebote erläutert.

Im zweiten Teil des Vortrages steht die Bildungs- und Aufklärungsarbeit des BBZ „lebensart“ mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu geschlechtlicher Vielfalt im Fokus. Seit vielen Jahren thematisieren wir an Schulen und anderen Einrichtungen in Sachsen-Anhalt die Varianten des biologischen und psycho-sozialen Geschlechts. Jährlich finden zwischen 60 und 80 Veranstaltungen zu geschlechtlich-sexueller Identität statt, bei denen auch transgeschlechtliche Menschen als Co-Moderator*innen mitwirken.

Nach einem Blick in die Rahmenbedingungen (Qualitätsstandards, Runderlass Sexualerziehung, Fachlehrpläne, Leitsätze Diversität) werden die Inhalte und Methoden bei den Veranstaltungen sowie unsere Erfahrungen mit unterschiedlichen Zielgruppen dargelegt.

Die Teilnehmenden des Kongresses können außerdem Anregungen für unsere Arbeit einbringen und Interesse an der Mitarbeit bekunden.

Workshop 8: Zwischen Lebenslust und Bioethik: körpergeschlechtliche Vielfalt und Inter*. Ein Bericht von unterwegs

Im Bereich körpergeschlechtlicher Vielfalt und für Inter* hat sich seit 2010 vieles bewegt. Die Erfahrungen der letzten Jahre und zahlreiche Neuentwicklungen zeigen aber auch: das Thema entzieht sich schlichten Antworten. Authentische Fragen sind hier nicht nur nach wie vor erlaubt. Sie sind auch weiterhin wichtig.

Der Vortrag entführt in ein vielschichtiges Spektrum der Potentiale. Er zeigt, dass selbstbestimmtes Leben mit zahllosen Möglichkeiten und vielen Variablen nicht nur möglich sein darf, sondern eigentlich zur Welt des Lebendigen gehört. In zugänglicher Sprache, teils sehr humorvoll, werden komplexe biologische Zusammenhänge dargestellt und wird von Erlebnissen sowie Projekten im In- und Ausland berichtet. Der Bezug bleibt dabei stets sehr konkret. Das ist auch an die persönliche Verkörperung und Kenntnis der Thematik gebunden.

Wichtige aktuelle Fragestellungen werden einbezogen, die vielerorts noch nie Eingang in die Diskurse fanden. Denn reproduktive Selbstbestimmung wirft auch völlig neue ethische Fragestellungen auf und lässt ein immenses Potential an möglichem, auch rechtlichem Konfliktstoff erahnen. Die Merkmale der Tragödie und der Komödie sind hier im Sinne einer Tragikomödie bestens miteinander verknüpft. Und derweil Menschenrechts- wie Inter*Selbstorganisationen vorwiegend für Operations-Stopp bzw. Operations-Aufschub, mehr Selbstbestimmung, eine medizinethische Aufarbeitung der persönlichen Geschichten aktiv sind, entwickelt sich das Feld der medizinischen Biotechnologien, auch der Pränataldiagnostik mit rasanter Geschwindigkeit. Neue Entwicklungen in Reproduktionsmedizin und Biotechnologie sind wichtige Aspekte, um Menschen Selbstbestimmung oder Selbstversorgung zu ermöglichen. Neue Biotechnologie kann aber auch ein besonderes Hindernis darstellen.

Aktuelle Antworten aus den Lebenswissenschaften können Empowerment befördern, indem fremdbestimmte (biologische) Definitionen und tradierte Ausschlüsse hinterfragt werden. Diese können sich durch dynamischere Variablen ersetzen lassen.

Die anschliessende Diskussion bietet viel Raum, um ins Gespräch zu kommen.

Workshop 7: Ansätze für eine affirmative therapeutische Arbeit mit Trans*Personen und Ihren Angehörigen – Vortrag mit anschließender Diskussion

In der Psychotherapie haben gendernonkonforme, genderqueere und transgeschlechtliche – kurz trans*Behandlungssuchende – aufgrund ihrer gesellschaftlichen Positionierung, spezifische Versorgungsbedürfnisse. Damit erfordert die psychotherapeutische Begleitung dieser Menschen ein Wissen hinsichtlich rechtlicher, psychosozialer und medizinischer Umgangsweisen mit dem Thema, Selbstreflexion der Psychotherapeut*innen hinsichtlich der Bedeutung von Geschlecht und Möglichkeiten der Geschlechtspräsentation, sowie eine therapeutische Beziehungsgestaltung, in der die Psychotherapeut*innen bereit sind, sich auf Unsicherheiten einzulassen und scheinbare Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen oder in Frage stellen zu lassen. In diesem Vortrag möchte Mari Günther auf die aktuellen Veränderungen des medizinischen und rechtlichen Umgangs hinweisen, sich zur Bedeutung und Tragweite von Selbstreflexion in einer therapeutischen Position äußern und Anregungen für die therapeutische Beziehungsgestaltung geben.

Psychotherapeutisch sowie systemisch therapeutisch und beraterisch tätige Kolleg*innen können Anregungen für die eigene Arbeit gewinnen. Therapiesuchende können ein selbstbewusstes Formulieren ihrer therapeutischer Bedarfe reflektieren. Insgesamt soll zu einer Beziehungsgestaltung in therapeutischen Prozessen eingeladen werden, die von gegenseitigem Respekt und gemeinsamen Gestaltungsprozessen geprägt ist.